DIE ZEIT GEHT MIT DIR
II - Im Geiste der Hummel
Mit einem Ratsch ist alles vorbei. Gestern noch ans morgen gedacht, lässt sich nicht einfach mehr wiederholen. Jedenfalls nicht mit der Gewissheit, dass die Kraft der Gedanken einen Sprung zulässt.
Gerade saß ich noch auf dem weißen einladenden Stuhl aus glattem Holz mit parallel laufenden Linien.
Von außen gemütlich, hintenrum etwas hart. Blickte in die Ferne und dachte ans gestern.
Dachte an die Dinge die gestern noch in der Unendlichkeit lagen. Heute liegen sie unerreichbar und unantastbar. Für mich jedenfalls. Für andere ist die Zukunft noch die Zeit, die sie sich selbst malen können.
Natürlich gilt das auch für mich. Nur muss ich mir erst mal ein neues Blatt und Stift suchen.
Während ich dem Wind lauschte, wie er von Wipfel zu Wipfel springt, wie er von Lichtung zu Lichtung seine Kraft scheucht. Wie hunderttausende von Blättern sich in einer Woge der Symphonie zu einem wallenden Konzert hingeben. In diesem Moment landet eine Hummel auf meinem rechten Bein. Ich bemerkte es nur aus dem Augenwinkel.
Eine kurze Bewegung - kaum zu vernehmen. Die Hummel schickte sich an, schnell unter meinem Knie abzutauchen. Meine Hose hat eine große einladende Falte geworfen und in dieser hat sich die Hummel niedergelassen.
Verschnauft, Kräfte gesammelt oder sich verdutzt gefragt, was für eine sonderbare Umgebung auf sie wartet. Ähnliche Gedanken hatte ich zuvor auch. Habe mich von meiner imaginären Schwiegerfamilie verabschiedet - zumindest in Teilen. Habe Gespräche geführt, die nicht mehr geführt werden. Sogar die letzte Kumpelhafte Umarmung mit einem liebevollen Klaps auf die Schulter konnte ich spüren. Im Geiste. Im Geiste der Hummel. Die sich gefragt hat, warum der Lavendel nichts mehr abwirft. Warum hier allgemein nichts mehr irgendwas abwirft. Es kann ja kaum sein, dass in einer so reichen Umgebung alles leer ist. Nichts mehr zu holen ist.
Ob sie sich beobachtet vorkam? Ob sie gespürt hat, wie dringend ich ihr Gelb Schwarzen Flaum kraulen wollte? Für einen kurzen Moment drehte sich die Hummel weg von mir, hin zum Abgrund des weißen Stuhls. Ich war irritiert, ist es die Einladung ihren Rücken zu kraulen? Oder einfach nur das Bedürfnis nach individueller Freiheit. Nach Zeit für sich. Ohne wertende Blicke und fordernde Persönlichkeit. Das weiß ganz allein die Hummel.
Ich lud sie ein um Teil meines Buches zu werden. Um meinen Schoß zu verlassen und wieder für sich zu sein. Wir haben die Reise von Stuhl zu Tisch gemeinsam gemeistert. Sie wartete geduldig auf den weißen Seiten des Buches. Gespannt was jetzt kommen würde. Welcher Blicke sie nun ausgesetzt sei - schließlich umgab sie jetzt viel mehr Raum, als noch in meinem Schoß.
Ich begab mich nach drinnen. Auf der Suche nach einem kleinen Teller, so klein, dass die Hummel ihn gut erreichen könnte. Damit sie nicht so viele Kraft bräuchte, um über den Rand des Tellers blicken zu können. Wenn ich mir nur vorstelle, wie viel Kraft wir Menschen brauchen, um nur einmal an den Rand des Tellers zu kommen, der uns täglich umgibt. Wie kann dann nur ein Tellerrand für eine Hummel erreichbar sein?
Drei Griffe später, konnte ich ihn endlich mit Wasser befüllen. Es war einer der Gedanken, die ich mir um die Hummel gemacht hatte, ob sie vielleicht einfach nur durstig wäre. Am Rande des verdursten womöglich. Hatte sie in dieser Wasserreichen Umgebung eventuell die Orientierung verloren? War es ihr vielleicht einfach nicht möglich, zu erkennen, wo es hier noch Wasser gäbe?
Doch auf meinen Schritten nach draußen, es waren nicht viele, besann ich mich auf eine meiner Schwächen. Nämlich ein Gefäß mit Wasser nicht im gefüllten Zustand abliefern zu können. Und einige Schwenke und Stolperschritte später erreichte ich den Tisch - und die Hummel hebte verschreckt ab. Ob sie noch durstig war oder schon erholt genug - diese Frage kann nur die Hummel beantworten. Der Teller mit Wasser würde noch warten, ich bin ebenfalls noch dort, wo wir uns zuletzt begegnet sind.
Nur das Buch, das ist jetzt ein paar Seiten weiter. Im großen und ganzen wird es der Hummel keinen Unterschied machen, für mich eigentlich auch nicht, bis auf die Gedanken die ich seit dem weiterspinnen konnte. Nur auf welchem Stand ich dann sein werde, dass weiß ich noch nicht. Denn gedacht habe ich seit dem keinen einzigen Gedanken mehr.
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